Sonntag, Oktober 20, 2013

Vom Einzelgängertum

Es gibt da eine Sichtweise: man müsse alles alleine tun, um von niemandem abhängig zu werden.

Solcher Wunsch, von niemandem abhängig zu sein, ist natürlich durchaus verständlich; bloß bleibt er unerfüllbar.

Denn bei näherem Hinsehen sind wir dauernd von anderen Menschen abhängig. In der Regel fällt es uns bloß nicht auf.

Wer bäckt mir die Brötchen, die ich zum Frühstück esse? Wer sorgt dafür, daß das Wasser fließt, mit dem ich dusche? Daß Strom da ist und Internet?

Alles Menschen, von denen ich abhängig bin. Sie fallen mir bloß nicht auf, weil sie in irgendwelche funktionierende Strukturen eingebunden sind.

Und auch die Strukturen fallen mir normalerweise nicht auf, weil ich mich an sie gewöhnt habe; auffallen tun sie mir nur zu solchen Momenten, wo sie nicht das liefern, was ich brauche oder erwarte.

So sehr haben wir uns an das Eingebundensein in funktionierende fertige Strukturen gewöhnt, daß wir nicht so recht dazu kamen, die sozialen Fähigkeiten zu entwickeln, welche uns erlauben würden, in bewußtem lebendigem Miteinander frei sich entwickelnde "produktive" soziale Strukturen zu gestalten (und selbst wo über den Unterschied zwischen "Gestalten" oder "Verwalten" diskutiert wird, wird halt nur diskutiert).

So daß wir uns außerhalb der funktionierenden fertigen Strukturen als mehr oder weniger "sozial verkrüppelte" Einzelne unter anderen mehr oder weniger sozial verkrüppelten Einzelnen bewegen.

Vor solchem Hintergrund ist natürlich klar, man sich außerhalb der bis zur Bewußtlosigkeit vertrauten funktionierenden Strukturen nicht unbedingt aufeinander verlassen kann.

Bloß bleibt einem nichts anderes übrig, als es zu versuchen. Es gibt Reinfälle über Reinfälle, mal ausgeprägter, mal weniger ausgeprägt; manches funktioniert sogar; und im Zuge verschiedenartigster Fehlschläge kann sich vielleicht gar ein kleiner Kreis von Personen zusammenfinden, die sich tatsächlich aufeinander verlassen können.

Da inzwischen auch die selbstverständlich als gegeben hingenommenen fertigen Strukturen immer schlechter funktionieren und zunehmend am Auseinanderkrachen sind, dürfte das Problem – zumindest für diejenigen, die überhaupt noch die Muße haben werden, sich zu besinnen – in nächster Zeit zunehmend bewußter werden.

Und im Zuge des Kaputtgehens der Strukturen wird die Illusion des in unbewußt bleibende Sozietät eingebetteten Einzelgängertums sich kaum noch behaupten können: Man wird immer mehr mit konkreten Menschen zu tun haben, muß ihnen, so gut es geht, vertrauen, und muß sich damit abfinden, daß Reinfälle unvermeidlich sind.

Und die Strukturen gehen teilweise aus dem Grunde kaputt, weil verschiedene mögliche und nötige Entwicklungen einfach verschlafen wurden.

So isses.