Freitag, Mai 15, 2009

Metamorphosen der Unterdrückung

каток
[aus einem gestern geschriebenen Brief]

Gestern stieß ich beim Lesen in deutschen Nachrichten auf Äußerungen eines gewissen Sarrazin:
"Hartz-IV-Empfänger sind erstens mehr zu Hause, zweitens haben sie es gerne warm, und drittens regulieren viele die Temperatur mit dem Fenster" - "Wenn die Energiekosten so hoch sind wie die Mieten, werden sich die Menschen überlegen, ob sie mit einem dicken Pullover nicht auch bei 15 oder 16 Grad Zimmertemperatur vernünftig leben können."

Natürlich ein […], dem ich von Herzen wünsche, daß er selbst mal in solche Lage kommt: damit er endlich versteht, in welcher Welt wir leben und die Gelegenheit hat, sich vom […] zum Menschen zu entwickeln.

[…]

Aber wenn man bedenkt, wie viele gute Leute heutzutage einfach draufgehen, ohne sich überhaupt bemerkbar machen zu können; ja, ohne überhaupt selbst richtig zu merken, was in ihnen steckt.

Eben diese Frage beunruhigt mich.

Während der Stalin-Zeit und auch während der Hitlerzeit wurden gute Leute rein äußerlich außer Gefecht gesetzt oder vernichtet. In der Moskauer Ljubjanka brannten über Jahre hinweg fast ununterbrochen die Öfen, in denen alle möglichen beschlagnahmte Manuskripte verbrannt wurden: wissenschaftliche Arbeiten, literarische Arbeiten; keimhafte Skizzen erwachender Talente, ausgereiftes, alles Mögliche in allen möglichen Qualitäten und Reifestadien.

Heute ist alles ganz anders. Jeder darf sagen, was er will, und es werden keine Manuskripte mehr verbrannt; dafür bleiben demjenigen, der stärkere Anlagen hat, kaum noch Chancen, sie zu entwickeln: man braucht keine Manuskripte mehr zu verbrennen, weil das Aufkommen entwicklungsfähiger Ansätze bereits im Keime erstickt wird; und selbst wo jemand es schafft, den Kopf über die Moräste hinauszuheben, geht seine Stimme im allgemeinen Geschwafel und Gequake unter.

Und unter denjenigen, die laut Sarrazin sich wärmer anziehen sollen, um weniger für Heizkosten ausgeben zu müssen, sind bestimmt nicht wenige, die potentiell eigentlich was zu sagen hätten, im materiellen Elend steckenbleiben und untergehen...

[…]

 

Nachbemerkung

Diesen Text findet man auch in einer Zusammenstellung, die den Titel trägt "Wegmarken auf dem Weg in die Katastrophe"" und die man unter https://dl.dropboxusercontent.com/u/54042052/KL_Wegmarken.pdf  anschauen und/oder herunterladen kann.

Aus dem Vorspann:

"Bewußt bin ich mir, daß zu dem Zeitpunkt, da ich diese Vorbemerkung in den Computer tippe (Ende April 2013), viele Zeitgenossen nicht recht verstehen werden, von welcher Katastrophe hier die Rede sein könnte.

Und im Herbst 2008, als die erste der hier veröffentlichten Notizen zustandekam, waren es zweifellos noch viel mehr.

Doch die Zeiten ändern sich; immer mehr von jenen, die von keiner herannahenden Katastrophe etwas merkten oder merken wollten, werden von deren sich ausweitenden und sich Platz bahnenden Fluten erfaßt oder direkt damit konfrontiert, oder entdecken aus sonstwelchen Gründen, daß irgendwas nicht stimmt."

Kakerlake-4784

Donnerstag, Mai 14, 2009

Zum Treffen zwischen Saakaschwili und Vertretern der Opposition

14. Mai 2009; „Взгляд“


Eine Mitteilung des Korrespondenten der Zeitung Взгляд aus Tbilissi:

Die georgische Niederlage im Augustkrieg im Zusammenhang mit Südossetien „hat dem seelischen Gleichgewicht von Präsident Saakaschwili einen starken Schlag versetzt“, erklärte am Donnerstag Salome Surabischwili, einstige Vorsitzende des Innenministeriums und Vorsitzende der Partei „Der Weg Georgiens“.

Am Donnerstag berichtete Salome Surabischwili der Zeitung „Все Новости“ („Alle Nachrichten“) Einzelheiten über das Gespräch zwischen Saakaschwili und Oppositionsvertretern vom 11. Mai; unter anderem sagte sie, daß „der Präsident irgendwelche überhaupt nicht komische Witze erzählte.“

Laut ihren Worten war es insgesamt schwierig zu verstehen, worüber Saakaschwili überhaupt sprach. Zudem hält der Präsident – wie Salome Surabischwili sich erinnert – Nino Burdshanadse, die einstige Parlamentssprecherin und Vorsitzende der Bewegung ‚Einiges Georgien’, für eine Agentin Moskaus und ist sicher, daß sie Geld aus Rußland bekommt.

„Er versicherte uns, daß 63 Prozent der Bevölkerung ihn unterstützt. Er lebt in einer anderen, virtuellen Realität und ist bemüht, als einzigen Weg für einen Machtwechsel nur den Weg des Umsturzes übrigzulassen, “ sagte Surabischwili.

Laut ihren Aussagen wird Saakaschwili „gesteuert von seiner kriminellen Umgebung“. Unter den Mitgliedern dieser Umgebung nannte sie den Vorsitzenden des Innenministeriums Vano Merabischwili und den Vorsitzenden des Justizministeriums Surab Adeischwili; und außerdem noch „einige Kriminelle“, welche die gesamte Macht in ihre Hände genommen haben und Saakaschwili in eine virtuelle Realität eingesperrt haben“.

Surabischwili bemerkte, daß in den georgischen Streitkräften eine sehr schwierige Situation am Entstehen ist, und diese Prozesse könnten unkontrollierbar werden.


[im Weiteren der russische Originaltext]


Оппозиция: Поражение в войне нанесло удар по психике Саакашвили
14 мая 2009, 11:36

Поражение Грузии в августовской войне вокруг Южной Осетии «нанесло большой удар по психике президента Михаила Саакашвили», заявила в четверг экс-глава МИД, лидер партии «Путь Грузии» Саломе Зурабишвили, передает корреспондент газеты ВЗГЛЯД в Тбилиси.

Рассказывая в четверг газете «Все новости» о деталях переговоров Саакашвили с оппозиционерами 11 мая, Саломе Зурабишвили, в частности, сообщила, что «президент рассказывал несмешные анекдоты».

По ее словам, было трудно в целом понять, о чем говорит Саакашвили. Кроме того, как вспомнила Саломе Зурабишвили, президент считает экс-председателя парламента, лидера «Демократического движения «Единая Грузия» Нино Бурджанадзе «агентом Москвы» и уверен, что получает деньги из России.

«Он уверял нас, что у него поддержка 63%. Он живет в другой виртуальной реальности и старается оставить для смены власти только путь переворота», - сказала Зурабишвили.

По ее утверждению, Саакашвили «управляем своим криминальным окружением». Среди членов этого окружения она назвала глав МВД Вано Мерабишвили и Мюнюста Зураба Адеишвили, а также еще «несколько криминалов», которые «взяли в руки всю власть, замкнув Саакашвили в виртуальной реальности».

Зурабишвили отметила, что очень тяжелое положение складывается в Вооруженных силах Грузии, и эти процессы могут стать неуправляемыми.

Mittwoch, Mai 06, 2009

georgisches...

In deutscher Übersetzung Auszug aus einem Brief aus Georgien.
Русский оригинал см. ниже

Gestern wurde ich Zeuge einer der Strafoperationen: an der xxx-Straße, so gegen 11 Uhr Abends, wurde eines der Häuser von Soldaten der Sondereinheit umzingelt, maskiert und mit amerikanischen Maschinenpistolen F16 (oder M16, kenn mich da nicht so aus). Man hörte Schläge gegen eine Eisentür, Jammern und Schreien.

Es war furchtbar. Niemand ist mehr sicher.

Vermutlich hast du von diesem sogenannten Staatsstreich gehört.

Eine billige Inszenierung, die ernst zu nehmen selbst den Anhängern Mischas schwer fällt.

Und anschließend eine Fernsehsendung – Mischa als Held! Er hatte keine Angst, persönlich am Orte des Staatsstreichs zu erscheinen (dieser erbärmliche Feigling, der beim Anblick eines russischen Flugzeugs so energisch losrannte, daß seine Leibwächter – durchtrainierte Burschen – ihm, mit dem Ruf „lauf nicht so schnell!“ nur mit Mühe folgen konnten. Diese Aufnahmen haben alle gesehen; sie werden jetzt jeden Tag im oppositionellen Fernsehen gezeigt); und nun plötzlich: er steht da und hält den schuldigen Soldaten eine Gardinenpredigt der Art „ich habe euch genährt und gekleidet, und ihr Undankbare…“ usw…

Und all dies wurde natürlich aufgeführt, um die Repressionen zu rechtfertigen.

(einen Zusammenschnitt von Videoaufnahmen, darunter auch die oben erwähnte Szene, kann man hier herunterladen; allerdings alles in Russisch)


Вчера был свидетелем очередной карательной операции: на улице xxx, где-то в 11 часов вечера, один из домов был окружен спецназовцами в масках и с американскими автоматами Ф16 (или М16, не разбираюсь в этих штуках). Был слышен звук ударов по железной двери, вопль и крики.

Стало просто жутко. Никто не застрахован.

Наверно слышал об этом так называющемся государственном перевороте.
Дешевый спектакль, в который даже сторонникам Миши трудно верить всерьез.
И потом, телетрансляция - Миша герой! Он лично не побоялся прийти на место переворота (этот подонок-трусишка, который при виде российского самолета побежал, да так, что охрана - натренированные парни - еле за ним поспевала с криком "не беги так быстро". Эти кадры все видели. Их теперь каждый день показывает оппозиционный телеканал) и вот: он стоит и читает нотацию провинившимся солдатам, мол "я вас кормил и одевал, а вы неблагодарные..." и т.д.

Все это конечно сделано, чтоб оправдать репрессии.

Freitag, Mai 01, 2009

Und weiter kriselt es…

Пожарище - Ruin

Eben: es kriselt weiter.

Den einen geht’s noch gut. Die können dann in wohligem Behagen lesen, was die Massenmedien über die Krise schreiben und dann darüber diskutieren und theoretisieren; genauso wie einstens in behaglicher Muße sie über den Krieg in Georgien allen möglichen Unsinn verzapften, oder über das Blutvergießen im Irak und in Afghanistan:

„Nichts bessres weiß ich mir an Sonn-und Feiertagen
Als ein Gespräch von Krieg und Kriegsgeschrei,
wenn hinten, weit, in der Türkei,
die Völker aufeinanderschlagen.
Man steht am Fenster, trinkt sein Gläschen aus,
und sieht den Fluß hinab die bunten Schiffe gleiten;
dann geht man abends froh nach Haus
und segnet Fried und Friedenszeiten“

(iss von Goethe, aus dem Faust)

Wobei, so lange es einem selbst gut geht, irgendwelche nicht mehr aus und ein wissende Nachbarn, irgendwelche im Umkreis sich mühsam am Abgrund entlanghangelnde „Freunde“ im Prinzip genau so weit weg sind wie diese sich unter irgendeinem Superdemokraten abquälenden Georgier, die von den Amerikanern gerettet werdenden Iraker oder irgendwo im Busch vor sich hin hungernde Afrikaner: fast schon auf dem Mond, wenn nicht noch weiter… So lang es einem selbst gut geht, bleibt die Not reine Theorie, und von der Not betroffene Mitmenschen verlieren den menschlichen Status und verwandeln sich in irgendwelche blassen, uninteressanten in dieser theoretischen Krisenwelt beheimatete Gestalten.

So lange zumindest, bis es einen selbst trifft.

Wenn es einen selbst trifft und die Krise von im Kopfe verbleibender Theorie zu der Seele Schmerzen bereitender Realität wird - ist es dann meistens zu spät: der aus dem Wohlstand gebraute Klebstoff, der das Surrogat eines sozialen Zusammenhalts, eines Miteinander schuf, hält einen nicht mehr, und man fällt aus diesem künstlichen Zusammenhalt hinaus zu diesen blassen theoretischen Schemen, die man vorher nicht wahrnehmen wollte.

Nun sind plötzlich alle Krücken weg; man ist ganz alleine; und es ist ganz natürlich, daß Menschen, die nicht alleine gehen gelernt haben und außer den bekannten Gemeinschaftssurrogaten keine zwischenmenschlichen Beziehungen kennen, in der nun plötzlich hereingebrochenen Einsamkeit und Hilflosigkeit den Faden verlieren.

Manche fügen sich brav in ihr Schicksal; lernen nach und nach vielleicht sogar was und entwickeln sich zu selbständig denkenden, sozial fähigen Menschen; andere hinwiederum drehen, wie man so sagt, durch…

Und mit vor besagtem Hintergrund „durchdrehenden“ wird man, fürchte ich, nun immer mehr zu tun bekommen; und wenn es dann im Weiteren zu Zusammenrottungen von „Durchgedrehten“ kommt, kann det recht unerquicklich werden; noch viel unerquicklicher, als es jetzt schon ist.

Als ich, zum Beispiel, in den Nachrichten erste Andeutungen von dem „Unfall“ während der Festlichkeiten mit der holländischen Königsfamilie mitbekam: war mir natürlich sofort klar, daß det kein Unfall sein kann; aber auch ein geplantes Attentat schien mir unwahrscheinlich. Als dann erste Einzelheiten über jenen Fahrer durchsickerten: Ein Mensch, der seine Arbeit verloren hat, der seine Miete nicht mehr bezahlen kann… - waren die Hintergründe deutlich; und es würde mich sehr wundern, wenn außer diesem einen Verzweifelten noch andere in die Organisation dieses Zwischenfalls involviert wären.

Dafür würde es mich nicht wundern, wenn solche und ähnliche und noch viel schlimmere Zwischenfälle sich häufen würden.

Es sei denn, daß immer mehr Zeitgenossen sich dazu bequemen würden, ihr erbärmliches Behagen überwindend all diese Krücken und Surrogate, von denen sie getragen und in die sie eingebunden sind, mal zu hinterfragen und vielleicht, bevor ihnen die Krücken und Surrogate entzogen werden, selbst gehen zu lernen und den Schein von sozialem Zusammenhalt durch sozialen Zusammenhalt zu ersetzen.

Natürlich alles nicht so einfach; vor allem, wenn man es freiwillig macht und nicht unter dem Zwang von Notlagen; doch wenn die Notlagen einen zwingen isses in der Regel zu spät.

So isses

Kakerlake

Nachbemerkung

Diesen Text findet man auch in einer Zusammenstellung, die den Titel trägt "Wegmarken auf dem Weg in die Katastrophe"" und die man unter https://dl.dropboxusercontent.com/u/54042052/KL_Wegmarken.pdf  anschauen und/oder herunterladen kann.

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Aus dem Vorspann:

"Bewußt bin ich mir, daß zu dem Zeitpunkt, da ich diese Vorbemerkung in den Computer tippe (Ende April 2013), viele Zeitgenossen nicht recht verstehen werden, von welcher Katastrophe hier die Rede sein könnte.

Und im Herbst 2008, als die erste der hier veröffentlichten Notizen zustandekam, waren es zweifellos noch viel mehr.

Doch die Zeiten ändern sich; immer mehr von jenen, die von keiner herannahenden Katastrophe etwas merkten oder merken wollten, werden von deren sich ausweitenden und sich Platz bahnenden Fluten erfaßt oder direkt damit konfrontiert, oder entdecken aus sonstwelchen Gründen, daß irgendwas nicht stimmt."


Марсьёнок